Und noch viel mehr

Ich bin ein sehr ordnungsliebender Mensch. Manchmal gehe ich meinem Liebsten damit auf die Nerven. Mir selber aber auch. Am liebsten würde ich nämlich alles, was ich hier in Berlin erlebe chronologisch in meinem Blog festhalten. Das schaffe ich nicht, erstens, weil ich mir nicht alles merken kann, zweitens weil ich manches durcheinander bringe - das Alter...und mein Liebster wieder Ordnung schaffen muss, da er ja alles weiss - und drittens, weil mir die Zeit fehlt. Heute Nachmittag geht es schon weiter nach Canterbury. Ich bin gespannt, was mich dort erwartet. Mit dem luxuriösen Hotel wird dann Schluss sein - wir wohnen in einer Studentenbude (passt doch), machen aber vorher noch einen Zwischenhalt in Maidstone. Heute habe ich einen freien Vormittag eingelegt, um noch das eine oder andere aufzuschreiben. Zum Beispiel den Besuch im Reichstag, wo wir anstatt 45 Minuten früher, 5 Minuten früher eintrafen, in aller Eile durch die Sicherheitseinrichtungen geschleust wurden, ich meinen Personalausweis nicht dabei hatte, aber meinen Studentenausweis (!), um dann in dem angenehm kühlen Plenarsaal zu landen, wo ein netter Guide im Anzug auf uns wartete. Seine Ausführungen über Gechichte und aktuelle Politik, die sich im Reichstag abgespielt hatte und heute noch abspielt, werde ich hier natürlich nicht wiedergeben. Was ich nicht wusste war, dass dieser Saal während des Nationalsozialismus nie benützt wurde. Er war ja ausgebrannt. Über die genauen Umstände des Reichtagsbrand munkelt man. Es war vielleicht ein symbolischer Todesstoss für die Demokratie, inszeniert von den Nazis. Das Interieur ist schlicht gehalten, blaue Stühle, den riesigen Reichsadler, der anscheinend die Fläche einer Zweizimmerwohnung haben soll, über dem Kopfe der Kanzlerin schwebend - falls sie anwesend sein sollte. Ihr Stuhl hat übrigens eine höhere Lehne als die übrigen Stühle. Grad bei Angies Grösse eigentlich wenig sinnvoll. Abgestimmt wird immer noch per Handerheben! Und dann wird nicht gezählt, sondern geschätzt! Elektronische Abstimmungseinrichtungen seien nicht zuverlässig. Man könne auch mal kurz auf den Kopf beim Nachbarn drücken - ja wie man ja auch mal kurz einen Biss des Croissants vom Teller nebenan nehmen kann, wenn die Tische nur genug eng beieinander stehen. Meine Schwester kann davon ein Liedchen singen. Im Schweizer Parlament müssen deshalb, um Schummeleien zu unterbinden, von jedem Stimmberechtigten zwei Knöpfe gleichzeitig gedrückt werden, einen oberhalb und einen unterhalb des Tisches. Das hat mir der Herr im Anzug bei Verlassen des Plenarsaales anvertraut! Für diejenigen, die es noch nicht wissen, in Bern wird seit kurzer Zeit elektronisch abgestimmt. Auch wurden neue Regeln betreffend Lärm im Bundeshaus - sprich: lautes Gerede untereinander während den Debatten - erlassen. Das war auch Zeit, man verstand ja auch rein akustisch rein gar nichts mehr.
In der gläsernen Kuppel war es dann doch nicht so heiss, wie erwartet, nur etwa 30 und keine 40 Grad. Man fährt mit einem Spiegellift - Bild folgt - hoch und geht dann zu Fuss mit Audioguide rund um, bis man ganz oben ist, also so spiralförmig. Auf dem Weg kriegt man alle wichtigen Gebäude der Stadt erklärt. Der Weg ist als Einbahnweg angelegt, man kommt also nicht runter wo man rauf geht, landet aber wieder am selben Punkt. Keine Unfallgefahr, wie auf den Berlinerstrassen, wenn man das rote DDR - Männchen nicht beachtet und die Tram wie eine Furie um die Ecke gesaust kommt, als wäre man auf der Basler Herbstmesse! 


   Spiegellift mit Fotograf! - Daneben ich - ganz klein.







Jetzt möchte ich zum Abschluss des "Berliner-Blog" noch kurz von unserm gestrigen Ausflug nach Potsdam berichten. Mit Schiff war nichts. Wir fuhren mit der S-Bahn, sahen auch so viel von der Umgebung von Berlin. Ein älteres Paar, das neben mir sass, schwärmte von früher - "weisst du noch, hier war die Apotheke - schau mal, noch eine alte Beschriftung, so schööön"!! usw. Ich konnte ihren Erinnerungen nicht weiter folgen, neben meinem Liebsten wurde ein Platz frei und ich vertiefte mich in die Lektüre über Potsdam. Puhh, das sollten wir alles schaffen, was es da alles zu sehen gab! Die vielen Schlösser! Wieso überhaupt so viele? Vielleicht wäre die "Kaiser-Tour" - "Stadt- und Schlösser - Sightseeing" das Richtige. Zwar etwas touristisch, aber wir sind ja Touristen. Mein Liebster war dagegen und ich war sauer. In der Verfassung musst ich mich dann auch noch in einen übervollen Bus quetschen, der direkt zum Schloss Sans-Soucis fuhr. Ich war noch mehr sauer. Dort angekommen wurde Dietmar sauer, weil wir am Ticketschalter eine lange Schlange vorfanden und die Damen hinter dem Schalter allen Leuten bereitwillig und in gemütlichem Tempo Auskunft gaben. Wo man doch Beratung und Verkauf so effizient hätte trennen können. Einlass ins Schloss war erst um 14.45 möglich, was machen wir um Himmelwillen, zweieinhalb Stunden lang?? Es war überhaupt kein Problem, die Zeit sinnvoll zu nützen, gab es doch auch noch die Orangerie, das ehemalige Gästehaus für die zahlreichen Freunde und Bekannten von König Friedrich dem Grossen - der übrigens nur 1.57m gross war. Und auch seine Gemäldesammlung im Neuen Palais war sehr beeindruckend! In der Orangerie wurden übrigens ursprünglich die Orangenbäume überwintert. Endlich macht der Namen Sinn. Friedrich heiratete widerwillig die Königin Beatrice, lebte aber nie mit ihr zusammen und hatte auch keine Kinder. Sie hatte ihr eigenes Schloss und zog erst nach dem Tode ihres Gatten während den Sommermonaten ins Schloss Sans-Soucis, das sie nach ihrem Geschmack umgestaltete. Im Konzertraum von Friedrich dem Grossen gibt es ein Hammerklavier, auf welchem auch Carl-Philipp-Emanuel Bach spielte. Und die Flöte des Kaisers ist zu bewundern. Er soll über 100 Flötensonaten komponiert haben, spielte selber täglich und nahm Unterricht, bei wem weiss ich nicht mehr. Es ist aber überliefert, dass der Lehrer seinen blaublütigen Schüler durch leichtes Hüsteln auf Fehler aufmerksam machen durfte. Die Alkoven, welche in den Gästezimmern und auch in den königlichen Räumen als Bettnischen dienten, sind sehr klein. Also doch ein Vorteil, wenn man nicht zu lang war. Toiletten gabe es keine. Man stellte einen Nachttopf in eine kleine Kammer neben dem Schlafraum. Ob es auch Tagtöpfe gab, weiss ich nicht. Waschen tat man sich normalerweise mit Hilfe  einer Waschschüssel. Falls doch einmal der Wunsch nach einem Bad aufkam, schleppte man eine Badewanne her. Erst König Elisabeth liess später eine Toilette mit Wasserspülung einbauen und sogar eine Dusche. Davon haben wir aber nichts gesehen. In den Festsälen des Schlosses hielten die Russen 1945 ihre Siegesfeiern ab. Manche Gegenstände, wie kostbares Meissen-Porzellan, für das Friedrich eine grosse Schwäche hatte, sind seither verschwunden.
Jetzt noch kurz zu der "Blue Men Group". Berlin lebt ja von Kontrasten, und einen hatten wir gestern Abend im Stage Bluemax Theater, am Marlene Dietrich Platz. Ein wilde Folge von rythmischen, akrobatischen, clownesken und manchmal ziemlich harten Shownummern, wo man gleich am Anfang  mit einer Pelerine versorgt wurde, um nicht mit Farbe oder andern Flüssigkeiten bekleckert zu werden. Etwas eklig war es zum Teil schon und sehr, sehr laut. Aber auch professionell. Den Leuten gefiels, wir liessen uns gerne überraschen und können jetzt auch mitreden, wenn es um die blauen Männer geht. Dass wir aber auch noch ein Konzert des Jugend-Orchester-Festivals am letzten Samstag im Deutschen Konzerthaus gleich hier in der Nähe unter  den Linden erlebt haben, macht mich ganz glücklich. Vivaldi meets Rock und Pop, Jethro Tull meets Händel - die jungen Musiker waren faszinierend!
Ade Berlin, bis zum nächsten Mal!
©p-dur





    Thomas der Zweifler von Caravaggio

   
   Friedrich der Grosse von Andy Warhol



    
    "Die Alte Wache", Käthe Kollvitz mit gefallenem Soldaten. Ein Denkmal zu Ehren ALLER jemals in     
    Kriegen getöteter Menschen.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Salzburgs Kirchen und Konzert im Schloss Mirabell

Dernières impressions

Dernières Impressions