Auf nach München

„Gitti, wann unternehmen wir wieder einmal etwas zusammen?" Diese Frage musste mir Olivia nicht zweimal stellen. „Sofort", war meine Antwort. Das ging dann doch nicht. Annina musste ihre Masterarbeit zu Ende schreiben, Bettina sollte sie redigieren, und ich hatte das erste Montags-Musizieren in Vorbereitung. Die nächste Frage war: mit oder ohne Männer. Bettina fand mit, ich ohne. Also machten wir einen Kompromiss und nahmen einen Mann mit. Stefan stellte sich zur Verfügung. Als Zeitpunkt und Ziel feststand buchte er auch sofort unter kundiger Anweisung von Bettina. Nach München sollte es gehen. Dafür gab es mehrere Gründe. Ich selber besuchte vor etwa 35 Jahren die Stadt zusammen mit einer Freundin. Eine Kandinsky-Ausstellung war damals der Anlass. Mir schwebten die besten Erinnerungen in meinem Hirn herum. Nicht so bei Annina. Sie sollte ihr Oktoberfest-Trauma bewältigen, Bettina war noch nie in der Stadt, die soviel an Kunst zu bieten hat, Olivia ist neugierig auf alles, was sie nicht kennt und Stefan liebt Bier. 

Am Freitagmorgen trafen wir uns am Badischen Bahnhof. Ich versuchte Plätze in einem Wagen des Zuges zu ergattern, verscheuchte eine nette Person, die ein Viererabteil belegte, Annina suchte ihr Handy, Olivia musste aufs Klo, Bettina versuchte die ganze Schar zusammen zu halten und Stefan war auch da. Er erklärte mir, dass wir 1. Klasse fahren, mit Sparbillet. Ich räumte meine Viererstube wieder, liess eine staunende, aber nette Person zurück und wir fanden Platz im Erstklassabteil, das aus acht Plätzen in einem kleinen Wagenabschnitt bestand. Die Tür liess sich nicht schliessen, was uns aber nicht störte. Gerne nahmen wir noch einen sympathischen Schweizer bei uns auf, der zu seinem Männertreff nach Augsburg fuhr.

Jetzt wurde erstmal auf unser bevorstehendes Abenteuer angestossen. Annina und Olivia hatten wohlweislich vorgesorgt.

In Ulm stiegen wir in einen richtigen ICE um und um 13.30 erreichten wir pünktlich unser Ziel. Jetzt begann diese Sache mit der Orientierung.


Sie beschäftigte uns eigentlich während des ganzen Aufenthaltes. Wir lernten aber dazu und vor allem Olivia bewies ihre Fähigkeit im Führen von Gruppen, was für ihre berufliche Laufbahn natürlich von Vorteil ist.

Unser Hotel Best Western Atrium Hotel lag nahe der Altstadt an der Landwehrstrasse 59, zu Fuss in etwa 15 Minuten ab HB gut erreichbar. Vorausgesetzt, man machte keinen Umweg. Es lag in einem spannenden Viertel, vergleichbar mit Klein-Istanbul in Kleinbasel. Es duftete nach fremden Gewürzen und Speisen, man fand afghanische Restaurants und türkische Läden mit frischen Gemüsen und Kräutern und Kebab-Stände. Jedes zweite Geschäft war ein Friseursalon, die Menschen sprachen fremde Sprachen, eine junge Frau mit wunderschönen Augen trug eine Burka. Waren wir wirklich in der bayrischen Landeshauptstadt gelandet? 

Wir waren. Und unser Hotel war Spitze! Natürlich hatten wir auch ein grosse Portion Glück, denn alle unsere Zimmer gingen auf den Innenhof.


Kaum hatten wir unsere Zimmer bezogen ging es auch schon los Richtung Altstadt. Wir steuerten den Marienplatz an, bestaunten das Glockenspiel am neuen Rathaus mit dem berühmten Glockenspiel, das aber gerade nicht erklang, zogen weiter Richtung Odeonsplatz und landeten endlich im Hofgarten. Jetzt war aber auch Zeit für das erste Bier, Radler oder ähnliches.


Tambosi heisst das nette Lokal, das man auch auf Olgas Blog findet. Wir hatten eine Stärkung nötig, schliesslich stand noch Shoppen auf dem Programm. Auf dem Rückweg zum Hotel machten wir noch einen kurzen Besuch in der Frauenkirche. Hier fand gerade ein abendliches Rosenkranzbeten statt. Wir lauschten kurz der Litanei und genossen die Kühle des gewaltigen, gotischen Innenraumes. Eine ausführliche Besichtigung wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, fand aber bis jetzt noch nicht statt.

 Dafür zeigte Annina ihr Organisationstalent, in dem sie uns einen Tisch im Restaurant Pschorr für den Abend reservierte.



Hier wurden nach dem üppigen Mal die Pläne für den zweiten Tag geschmiedet. Ich wollte Schwabing besuchen und auf den Spuren der Skandalgräfin, Franziska von Reventlow um 1900, wandeln. Olivia zog es in den englischen Garten. Stefans Wunsch nach dem BMW-Museum wurde nicht berücksichtigt. Annina und Bettina waren mit unsern Vorschlägen einverstanden. Stefan fügte sich. Und wir fielen alle todmüde und zufrieden ins Bett.


Kann man sich einen gemütlicheren Frühstücks-Ort vorstellen, als hier am St. Anna-Platz im Stadtteil Lehel? Der Weg dorthin mit der Tram war nicht ganz einfach zu finden und ab und zu störte uns der „Kanal-Blitz", eine Maschine, die einen Abfluss am Platz reinigte. Aber es handelte sich ja nur um einen Blitz. Er zog bald weiter. 

Nach dem späten Früh-Stück fuhren wir mit der U-Bahn zur Station „Münchner Freiheit" und marschierten zur Leopoldsstrasse 41, wo wir vergeblich das im Reiseführer aufgeführte Café Noris suchten. Es soll ein Treffpunkt der Münchner Künstler und Literaten gewesen sein. Hier soll richtig was los gewesen sein! In unmittelbarer Nähe des Kaffes sollen auch Paul Klee und Heinrich Mann zeitweise gelebt haben. Direkt über dem Kaffee befand sich die Wohnung meiner Skandalgräfin, Franziska  von Reventlow. Und was fanden wir jetzt an diesem Ort?Irgend eine Imbissecke, ich weiss nicht einmal mehr, welcher Nation. Immerhin erblickten die wachen Augen meiner Gittitöchter diese Gedenktafel.


Nach der Enttäuschung mussten wir uns im Englischen Garten erholen, einer herrlich grünen Oase mit weiten Rasenflächen, hohen Bäumen, Büschen und Bächen nach englischem Vorbild eben. Ich hörte, wie ein Fahrradfahrer seinen in der Rikscha sitzenden Touristen erzählte, der Garten hiesse so, „because there are many englisch People in the Bushes!" Ha,haaa...

 

Und die Musik spielt dazu - und zwar die bayrische Blasmusik im ersten Obergeschoss des chinesischen Turmes! Was man auf dem Foto leider nicht sehen und hören kann.



Zwei Gedenktafeln, Zeichen des Widerstandes gegen das Naziregime.

Der englische Garten wurde Ende des 18.Jahrhunderts gebaut, während die Französische Revolution mit der Stürmung der Bastille die Monarchen in Europa in Angst und Schrecken versetzte. Kurfürst Karl Theodor setzte auf die harmonisierende Wirkung der Natur, um die Menschen zu besänftigen. Die neuen, aufklärerischen Ideen aus Frankreich liessen sich mit solchen Mitteln aber nicht lange aufhalten. Sie besänftigten höchstens die Erschaffer der Idylle.


Und diese Schauspieler waren wahrscheinlich auf dem Weg zum Theatermuseum, das sich ganz in der Nähe befand. Aber alles kann man nicht machen. Die Füsse taten weh, vor allem meine. Sie sind ja auch die ältesten. Also steuerten wir wieder auf den Hofgarten zu, wo wir uns schon ganz heimisch fühlten.


Der Rest des Nachmittags hatten die Mädels nochmals für Shoppen reserviert. Wir schlenderten über den Viktualienmarkt und gönnten uns ein Eis. Ich schleppte Bettina noch ins Valentinsmuseum und Stefan machte sich auf die Suche nach einem Stecker, um sein Handy laden zu können. Das GPS braucht viel Strom... Meine zu engen Jeans, die ich am Vortag gekauft hatte, wurden von Annina erfolgreich umgetauscht. Mir gelang es nicht... Das Abendessen war ebenfalls von Annina organisiert und Olivia führte uns zielsicher ins Wirtshaus „Zum Bretzn".


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Die Planung für den dritten Tag sollte jetzt aber schon noch etwas Geschichte und Kunst beinhalten. Ich schlug vor, entweder die neue Pinakothek und NS-Dokumentationszentrum oder Museumsinsel mit Deutschem Museum an der Isar zu besuchen. Leider wurde Stefan schon wieder überstimmt und wir entschlossen uns für Variante 1. Und nicht nur das. Am Vormittag des dritten Tages bekam Stefan kein Frühstück und musste seinen Kaffee „to Go" auf der Strasse trinken. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich noch einmal auf ein Abenteuer mit uns einlässt. So viel Frust könnte auch ich schlecht wegstecken. 

Die Ausstellung im NS-Dokumentations-Zentrum auf dem Gelände der ehemaligen Parteizentrale, dem „Braunen Haus", war sehr eindrücklich. München als Gründerstadt der NSDAP tat sich lange schwer mit der Vergangenheitsbewältigung. Dass Adolf Hitler der Aufstieg zum Führer gelang, hatte er unter anderm auch einflussreichen Münchner Familien zu verdanken. Mich hat nicht so sehr interessiert, welche Gräuel sich die NS-Machthaber zuschulden kommen liessen. Darüber sind wir genügend informiert. Aber der Anfang der Bewegung, beginnend nach dem ersten Weltkrieg, mit den revolutionären Unruhen, dem Sturz der Monarchie, der Gründung des Freistaates Bayern, der sozialistischen Räterepublik, der antisozialistischen, antisemitschen völkischen „Ordnungszelle Bayerns", dem Putsch und der Gründung der NSDAP, dem Ermächtigungsgesetz... Das alles ist bestens erklärt mit Texten und Aussagen von Zeitzeugen.


Wir brauchten nach all diesen Informationen erstmals eine Pause, bevor wir uns noch in die neue Pinakothek aufmachten.

Ludwig I. wollte München zu einer Kunstmetropole machen. Ludwig der II., Erbauer des Schlosses Neuschwanstein, hatte überhaupt nur Kunst im Kopf...

...und der Poet auch. Nur hatte der etwas weniger Geld.


So fühlten wir uns auf unserm Trip, der schon wieder dem Ende zuging.

Edit


Alla Prossima!

11.6.2018

P-Dur


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