The United Kingdom
Das Wetter wurde im Laufe des Tages immer englischer. Familien mit kleinen Kindern steigerten den Umsatz im Castle-Shop durch Hamstereinkäufe von Regenpelerinen. Wir hatten unsere Regenschirme und nutzten sie, um durch die wunderschöne Parkanlage zu spazieren. Unzählige verschiedene Vogelarten sind hier zuhause. Einen schwarzen kleinen Vogel mit rotem Schnabel beobachtete ich, wie er auf der einen Seite des Weges Nahrung suchte. Diese verschlang er nicht selber, sondern hüpfte damit über den Weg zu einem kleinen Bächlein und verschwand im Dickicht. Beim genauen Hinschauen entdeckte ich auf einem querliegenden Ast knapp oberhalb des Wassers einen zweiten Vogel. Er schien zu brüten, sass ruhig in seinem Nest und wartete, bis der erste Vogel ihm die Leckereien in den Schnabel steckte. Dann überquerte dieser wieder den Weg, holte neues Futter, brachte es seiner Gemahlin und das wiederholte er wahrscheinlich noch viele Male. Ich war gerührt von soviel Fürsorge und hätte diesem Schauspiel noch lange zuschauen können. Hier war die Welt in Ordnung. Alles hatte seinen Lauf und Sinn. Man musste nichts besprechen oder diskutieren, geschweige denn miteinander streiten. Das Vogelpaar wusste, was es zu tun hatte und tat es einfach.
Der Regen wurde dann plötzlich wieder stärker, so dass es unter dem Schirm ziemlich ungemütlich wurde. Wir verliessen das Schloss und fuhren Richtung Canterbury, wo wir nach einem Zwischenstopp in einem Outlet- Zentrum im Studentenwohnheim unsere jetzige Unterkunft fanden. Dietmar fand beim Shoppen noch eine neue Regenjacke, ich suchte vergebens nach einem Trenchcoat. Da gab es nur Funktionskleidung- die ist nicht so mein Stil.
Heute stand dann die Wiege des englischen Christentums auf dem Programm. Es muss über zwanzig Jahre her sein, seid ich mit Rosmarie einmal hier war. Wir besuchten ihre Verwandten in der Nähe von London und sind wohl mit Bus oder Zug auch nach Canterbury gekommen. Meine Erinnerungen sind aber total verblasst, was mir etwas Sorgen bereitet. Ich frage mich wirklich, wieso ich sowenig Erinnerungen an vergangene Reisen habe, ob ich überhaupt richtig anwesend war an den Orten, die ich besuchte, oder immer nur so halb und sonst von meinen Ansprüchen und Anpassungsproblemen so in Beschlag genommen war, dass keine Energie für die Aufnahme von Neues übrig blieb. Jedenfalls ist diese Kathedrale eine Wucht! Und dann noch die geschichtlichen Ereignisse, die damit in Verbindung stehen! Der Erzbischof Thomas Becket wurde hier im Jahre 1170 von königlichen Gesandten ermordet. Er soll dem König, Heirich II mächtig auf die Nerven gegangen sein mit seiner Haltung, die nicht den Machtansprüchen des Königs entsprach, sondern die Eigenständigkeit der römisch - katholischen Kirche verteidigte. Als Strafe für dieses Attentat fiel Heinrich II unter den Kirchenbann des Papstes und musste einen Bussgang antreten. Angeblich soll er sogar in der Kathedrale öffentlich gegeisselt worden sein. Das kann ich mir nicht so gut vorstellen...
Der echte Höhepunkt unseres bisherigen Aufenthaltes in Canterbury war aber der Besuch im Marlow- Theater mit "Dirty Dancing". Wow, war das eine Super- Aufführung mit fantastischen Darstellern, allen voran die beiden Hauptdarsteller Lewis Kirk und Jessie Hart. Auch die Story, die 1963 in Amerika spielt ist berührend. Es ist die Liebesgeschichte zwischen dem genialen Tänzer Jonny, der in einem Resort seinen Sommerjob macht und der 17-jährigen Baby, einem Mädchen aus gutem Hause, das dort mit seiner Familie den Urlaub verbringt und sich in den gutaussenden Mann verliebt. Sie schafft es, dank ihrer Unbeschwertheit, ihrem Sinn für Gerechtigkeit und ihrem Glauben an eine bessere Zukunft, ihn aus seiner Routine und seinem Pessimismus heraus zu reissen.
Soviel für den Moment. Die weissen Böhnchen warten und die Fotos folgen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen